Bauherrengemeinschaft: Gemeinsam planen, bauen, entscheiden - und haften

Eine Bauherrengemeinschaft (BHG) für Eigentumswohnungen kann eine kostensparende Alternative zum Bauträgermodell sein – erfordert aber klare Verträge, verbindliche Entscheidungsregeln und das Bewusstsein für die gegenseitige Abhängigkeit aller Beteiligten.

Gemeinsam planen
Architektur, Grundrisse und Technik werden gemeinsam entschieden
Kosten teilen
Grundstück, Planung und Baukosten werden solidarisch getragen
Risiken teilen
Ausfälle oder Mehrkosten betreffen die gesamte Gemeinschaft
1. Grundlagen

Was ist eine Bauherrengemeinschaft?

Eine Bauherrengemeinschaft (BHG) ist ein Zusammenschluss mehrerer künftiger Wohnungseigentümer, die gemeinsam ein Mehrfamilienhaus planen, finanzieren und bauen.

Die Mitglieder werden bereits vor Baubeginn zu Miteigentümern und entscheiden gemeinsam über alle Aspekte – vom architektonischen Konzept bis zur Bauabnahme. Dieses Modell bietet größere Gestaltungsfreiheit und potenzielle Kostenvorteile, erfordert aber auch intensive Abstimmung und trägt das Risiko der gegenseitigen finanziellen Abhängigkeit.

Wichtiger Hinweis: Eine Bauherrengemeinschaft ist rechtlich eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Alle Mitglieder haften gesamtschuldnerisch für Verbindlichkeiten der Gemeinschaft.

Ablauf einer Bauherrengemeinschaft

  • 1
    Idee & Gruppengründung
    Interessenten finden sich zusammen, klären gemeinsame Ziele und Budgetrahmen
  • 2
    Grundstück & Planung
    Grundstückssuche, Architektensuche, erste Kostenschätzung und Machbarkeitsprüfung
  • 3
    Finanzierung & Verträge
    Bankgespräche, Gemeinschaftsvertrag, Teilungserklärung und notarielle Beurkundung
  • 4
    Bau & Abnahme
    Bauausführung, Qualitätskontrolle, Mängelmanagement und gemeinsame Abnahme
2. Vorteile

Vorteile der Bauherrengemeinschaft

Kosten- und Planungsvorteile

  • Günstigeres Bauen durch gemeinsame Ausschreibungen
    Mehrere Parteien bündeln ihre Kaufkraft – bei Rohbau, Haustechnik oder Materialeinkauf sind Mengenrabatte und Ablaufvorteile möglich.
  • Geringere Grundstückskosten pro Wohneinheit
    Durch gemeinsame Finanzierung werden auch teurere, gut gelegene Grundstücke erschwinglich.
  • Individuelle Gestaltungsmöglichkeiten
    Jede Partei kann ihre Wohnung nach eigenen Wünschen planen (Grundrisse, Ausstattung, Materialien).
  • Hohe Transparenz
    Alle Kosten, Entscheidungen und Verträge sind für alle Mitglieder offen einsehbar.

Finanzierungsvorteile

  • Günstigere Konditionen durch Gruppenfinanzierung
    Banken bewerten strukturierte Gruppenprojekte mit mehreren Schuldnern oft positiver als Einzelvorhaben.
  • Sonderwünsche können fair verteilt werden
    Beispiel: Ein Aufzug wird vor allem von Obergeschoss-Eigentümern benötigt – diese tragen - sofern vereinbart - entsprechend höhere Kostenanteile.

Vorteile während der Bauphase

  • Mehr Qualitätskontrolle
    Mehrere Augen sehen mehr – Baufehler und Qualitätsmängel fallen schneller auf.
  • Starker Einfluss auf Gewerke und Materialien
    Die Gemeinschaft entscheidet gemeinsam, welche Firmen beauftragt werden.
  • Frühes Gemeinschaftsgefühl
    Die Mitglieder lernen sich bereits während der Bauphase kennen – das erleichtert später die Zusammenarbeit in der Eigentümergemeinschaft.
Bereich Vorteil Konkretes Beispiel
Kosten Kostenersparnis durch gemeinsame Ausschreibungen Auftragnehmer bieten günstigere Preise für Sammel-/ statt Einzelaufträge
Grundstück Geteilte Grundstückskosten Grundstück wird durch mehrere Parteien bezahlbarer
Planung Individuelle Grundrisse innerhalb eines gemeinsamen Rahmens EG mit größerer Terrasse, OG mit größerem Balkon, individuelle Raumaufteilungen
Finanzierung Gruppenfinanzierung möglich Bank bietet bessere Konditionen, da das Risiko auf mehrere Schuldner verteilt ist
Bauphase Mehr Kontrolle & Transparenz Regelmäßige Baubesprechungen und offene Einsicht in Angebote und Rechnungen
3. Risiken

Nachteile und Risiken einer Bauherrengemeinschaft

Hoher Abstimmungsbedarf

Alle Entscheidungen – von der Haustechnik über den Aufzug bis zur Fassadengestaltung – müssen gemeinsam getroffen werden. Dies erfordert Zeit, Geduld und Kompromissbereitschaft aller Beteiligten.

Praxisbeispiel: Aufzug – OG will ihn, EG nicht

  • Obergeschoss-Eigentümer profitieren deutlich mehr von einem Aufzug
  • Erdgeschoss-Eigentümer lehnen Kostenanteile ab, da sie kaum Nutzen haben
  • Da der Aufzug den Baukörper betrifft, ist grundsätzlich eine einstimmige Entscheidung erforderlich

Folge: Ein einziges Nein kann das gesamte Projekt stoppen oder erheblich verzögern.

Erhöhtes Konfliktpotenzial

Unterschiedliche Vorstellungen über:

  • Architektur und Gestaltung
  • Ausstattungsniveau und Materialien
  • Budget und Kostenverteilung
  • Individuelle Sonderwünsche
  • Nachhaltigkeit und Technikstandards

können schnell zu Spannungen führen.

Besonders konfliktträchtige Themen:

  • Einzelgaragen/Tiefgarage vs. Außenstellplätze
  • Photovoltaik-Anlage ja/nein
  • Wärmepumpe vs. Gasheizung
  • Schallschutz, Trittschall, Bodenbeläge
  • Dachgestaltung (Gauben, Loggien, Dachterrassen, Dachbegrünung)
Bereich Typischer Konflikt Mögliche Folge
Aufzug OG möchte Aufzug, EG möchte Kosten sparen Projektverzögerung, Neuplanung der Kostenverteilung
Parken Tiefgarage vs. Außenstellplätze vs. Garage Unzufriedenheit mit Komfort oder Optik, höhere Kosten
Energie Wärmepumpe vs. Gasheizung Diskussionen über Investitionskosten und laufende Betriebskosten
Schallschutz Holzböden im OG vs. Trittschall im EG Dauerhafte Konflikte zwischen Nachbarn, nachträgliche Sanierungen
Dach Dachgauben, Loggien, PV-Anlage Planungs- und Genehmigungsaufwand, Mehrkosten, ästhetische Differenzen

Finanzielle Risiken wichtig

Was passiert, wenn ein Mitglied ausfällt?

Fällt eine Partei während Planung oder Bau aus (z. B. Finanzierung platzt, Zahlungsausfall, Insolvenz), gilt:

Die übrigen Bauherren müssen die fehlenden Kosten zunächst übernehmen.
Andernfalls droht ein Baustopp oder sogar der komplette Projektabbruch mit erheblichen Verlusten.

Typische Lösungsansätze im Vertrag:

  • Nachschusspflicht mit festgelegten Obergrenzen (z. B. bis 5–10 % des eigenen Anteils)
  • Anlage eines Notfallfonds bereits zu Projektbeginn
  • Verkaufsoption für den Anteil an ein neues Mitglied (muss schnell gefunden werden)
  • Zwischenfinanzierung durch die Gemeinschaft mit Rückzahlungsregelung
  • Absicherung über eine Ausfallversicherung für kritische Projektphasen

Organisatorische Komplexität

  • Regelmäßige Baubesprechungen mit allen Beteiligten
  • Entscheidungsfindung über Gewerke und Materialien
  • Festgelegte Abstimmungsprozesse mit Fristen
  • Dokumentation und Nachverfolgung von Mängeln
  • Kleinteilige Diskussionen über Details
Empfehlung: Ohne professionelle Projektsteuerung wird ein BHG-Projekt schnell unübersichtlich. Ein unabhängiger Projektsteuerer kann Konflikte minimieren und den Baufortschritt sichern.
4. Entscheidungsregeln

Wie werden Entscheidungen getroffen?

Entscheidungen, die Einstimmigkeit erfordern

Alle baurechtlich, statisch oder technisch wesentlichen Punkte:

  • Aufzugseinbau oder -verzicht
  • Heizsystem / Energieversorgung
  • Änderungen an Statik & Grundrissen
  • Dachform & Dachfenster
  • Tiefgarage/Garagen/Stellplätze
  • Fassadenänderungen
  • Budgetänderungen über festgelegte Grenzen hinaus
  • Aufnahme neuer Mitglieder
  • Änderungen der Teilungserklärung

⚠️ Ein einziges Nein kann das gesamte Projekt stoppen.

Entscheidungen, die Mehrheit zulässt

Nicht-baukörperrelevante Entscheidungen, z. B.:

  • Farbwahl in Fluren und Gemeinschaftsbereichen
  • Gestaltung der Außenanlagen
  • Positionierung von Fahrradräumen/Fahrradständern im Außenbereich
  • Bepflanzung des Gartens
  • Spielgeräte auf dem Grundstück
  • Möblierung gemeinsamer Bereiche
  • Innenausstattung des Treppenhauses

Mehrheitsarten können sein:

  • einfache Mehrheit (50 % + 1 Stimme)
  • qualifizierte Mehrheit (z. B. 66 % oder 75 %)
  • Mehrheit nach Miteigentumsanteilen

Die genaue Regelung muss im Gemeinschaftsvertrag festgelegt werden.

Entscheidung Beispiel Regel
Aufzug Neuplanung eines Aufzugs für OG-Wohnungen Einstimmigkeit (baurelevant, Baukörper & Kosten)
Heizungssystem Gasheizung vs. Wärmepumpe Einstimmigkeit (zentrale Gebäudetechnik)
Dachgestaltung Gauben, Loggien, PV-Anlage Einstimmigkeit (Optik, Statik, Genehmigung)
Außenanlagen Spielplatz, Bepflanzung, Sitzbereich Mehrheit (nicht baurelevant)
Außenanlagen Gemeinschaftliche Nutzung Grundstück Mehrheit (nicht baurelevant)
Treppenhausgestaltung Farben, Bodenbelag, Beleuchtung Mehrheit (innerhalb eines definierten Budgetrahmens)
Checkliste

Checkliste: Ist eine Bauherrengemeinschaft das richtige Modell?

Hinweis: Nutzen Sie diese Checkliste als praktische Arbeitshilfe. Gehen Sie Punkt für Punkt durch und prüfen Sie, was bereits geklärt ist. Alle offenen Punkte sollten vor einer verbindlichen Entscheidung mit allen Beteiligten sowie fachlicher Beratung (Rechtsanwalt, Steuerberater, Projektsteuerer) besprochen werden.

Struktur & Vertrag
Finanzen
Planung
Durchführung & Abnahme
Fazit

Fazit

Eine Bauherrengemeinschaft ist kein Selbstläufer, sondern ein Gemeinschaftsprojekt mit besonderen Anforderungen. Sie bietet große Chancen durch Kostenvorteile, individuelle Gestaltungsfreiheit und hohe Transparenz. Gleichzeitig ist sie eine finanzielle und zwischenmenschliche Herausforderung, die klare Regeln und professionelle Begleitung erfordert.

Für wen eignet sich eine Bauherrengemeinschaft?
Für gut organisierte, kompromissbereite Menschen mit ausreichend Zeit und Budgetpuffer, die bereit sind, Verantwortung zu teilen und gemeinsam Entscheidungen zu treffen.

Für wen ist sie weniger geeignet?
Für Menschen, die Streit scheuen, wenig Zeit für Abstimmungen haben oder kein finanzielles Polster für unvorhergesehene Kosten.

Wer die Herausforderungen annimmt, kann deutlich günstiger und qualitativ hochwertiger bauen als über einen Bauträger.
Wer die Risiken unterschätzt, landet dagegen schnell in einer finanziellen und zwischenmenschlichen Falle.

Impressum   Kontakt   Datenschutz   Disclaimer   Über uns
© Copyright and Desgin by ImmoPilot founded 1999 - Registered Trademark - Marken und Patentamt Berlin